Evelyn Steinthaler: „Schau nicht hin“
Kunst als Stütze der Macht – Die Geschichte der Diven des NS-Regimes.
Im Focus: Lida Baarová, Zarah Leander, Marika Rökk und Kristina Söderbaum
Haben sie noch eine alte Platte oder eine neuere CD mit Liedern von Zarah Leander? Wenn sie diese Musik und diese Stimme hören, tauchen sie ein in die Stimmung einer vergangenen Epoche – und in eine Zeit, als der Nationalsozialismus die Macht ergriff und diese zelebrierte bis zum bitteren Ende. Damals hieß es „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh´n“ oder „Kann denn Liebe Sünde sein“. Beide Lieder Welterfolge, die bis in die heutige Zeit ausstrahlen.
Evelyn Steinthaler geht es in ihrem Buch „Schau nicht hin“ weniger um die Bewertung einer künstlerischen Leistung denn darum, wie sich führende und verehrte Stars von damals von einem Regime vereinnahmen ließen oder aktiv zu dessen Etablierung und Machterhalt beitrugen.
Dazu holt Steinthaler die damaligen Diven des NS-Films vor den sprichwörtlichen Vorhang, um ihre Geschichte und ihre Entwicklung im Kunstbetrieb der Ufa, die verstaatlicht im Einflussbereich des Ministeriums für Propaganda und Volksaufklärung unter Joseph Goebbels lag, herauszuarbeiten. Der Staat kontrollierte damals die gesamte deutsche Filmproduktion und natürlich das gesamte kulturelle Geschehen.
Am Beispiel von Lida Baarová, Zarah Leander, Marika Rökk und Kristina Söderbaum zeichnet Evelyn Steinthaler Portraits von vier Künstlerinnen, die sich für eine Karriere im Deutschen Reich entschieden und damit auch weitreichenden Ruhm erlangten. Was waren ihre Motive und was waren sie bereit, für den Erfolg zu bezahlen? Wie stark haben sie sich von dem Machtapparat mit seiner vorherrschenden Propaganda einspannen lassen - und was wiegt eine spätere Distanzierung, die sich lediglich auf ein unpolitisches Künstlertum beruft? Die genannten Frauen waren übrigens keine gebürtigen Deutsche und kamen erst nach Deutschland als die Nationalsozialisten die Macht ergriffen.
Evelyn Steinthaler führt ihre Leser mit einer klaren Sprache und einem ebenso klar strukturieren Inhalt durch die Geschichte dieser vier Diven vor dem Hintergrund eines nationalsozialistischen Deutschland. Sie scheut sich auch nicht davor, heikle Fragen nach moralischer Überlegenheit zu stellen, die sich daraus ergeben, eine Zeit und Menschen darin nach dem heutigen Weltbild und Focus zu beurteilen.
Ihre aufgeworfene Frage nach der „Kunst als Stütze der Macht“ bleibt bestehen und ist so aktuell wie eh und je. Machen wir dazu nur einen Blick auf die beliebten indischen Bollywood-Filme, die mittlerweile einen bedeutenden Bestandteil der nationalen Identität Indiens darstellen und wo in einigen Produktionen Regierungschef Narendra Modi mit seiner Politik als Held gefeiert wird. Der Griff nach der Filmindustrie, um diese für eigene politische Zwecke zu nutzen, scheint unausweichlich.
„Schau nicht hin“ ist ein nicht nur ein spannendes, sondern auch ein besonders aktuelles Buch angesichts der derzeitigen nationalen und internationalen politischen Verwerfungen, die viele Künstlerinnen und Künstler vor die Frage stellt, ob und wie sie sich in den Sold und in den Machtbereich diverser politischer Strömungen und Machtapparate stellen lassen.
Coverfoto © Kremayr & Scheriau
Buchpräsentation © Anneliese Erdemgil-Brandstätter