Einer meiner Höhepunkte der Pressereise nach Leipzig war der Besuch des Kunstkraftwerks Leipzig.
Immersive Ausstellungen scheinen im Moment der letzte Schrei der Ausstellungskunst zu sein. Auch in Leipzig sollte diese Ausstellungsart auf uns warten.
Wir starten nach einem hervorragenden Mittagessen im Kaiserbad Richtung Kunstkraftwerk. Auf den ersten Blick sieht das Gebäude ja noch nicht besonders einladend aus, aber ich mag dieses „neue Leben“ in alten Industriegemäuern.
Und man kann ihnen ruhig ansehen, dass sie alt sind.
Außerdem bemerke ich schon beim Hineingehen: auch Banksy war hier. Und da ich gerade eine Ausstellung des Ausnahmekünstlers der Streetart in Wien gesehen habe, freut mich das natürlich besonders.
Bach Experience
Unser erster Programmpunkt nennt sich „Bach Experience“ und ist – wie könnte es anders sein – auch ein immersives Konzert.
Wer Bach gerne hört, wird sich freuen, aber trotzdem begeisterte es mich nicht besonders, wenn zur Musik Blümchen, Farbflecken und grafische Muster unterschiedlich von der Decke regnen. Die Vorführung war interessant und es war schön die Musik zu hören, aber überwältigt war ich davon nicht.
Doch dann übersiedeln wir in einen größeren Raum und diese Vorstellung sorgt dafür, dass mir der Mund offen stehen bleibt: Tübke Monumental – The Great Circle nennt sich die Vorstellung, die als Hommage an Werner Tübke zu verstehen ist. Und eine Hommage ist es …
Eine kleiner Einblick in Bach Experience:
Wer war Werner Tübke?
Werner Tübke war ein deutscher Maler und Grafiker, dessen Todestag sich 2024 zum 20. Mal jährt. Er gilt als einer der bedeutendsten Maler der DDR und gehörte mit Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer und Heinz Zander zur Leipziger Schule.
Tübkes Werke zeichneten sich durch einen sinnbildhaften, symbolischen Stil und vielen Rückbezügen zur Renaissance-Malerei aus, was zu heftigen Auseinandersetzungen mit dem damaligen Regime führte.
Schließlich entsprach seine Art zu malen eben nicht dem sozialistischen Realismus, sondern einem magischen Realismus mit surrealen Zügen und zeichnete sich durch manieristische Verzerrung und oftmals altertümlich gekleidete Figuren aus. Dadurch stand er auch seinen künstlerischen Vorbildern Lucas Cranach und Albrecht Dürer nahe.
Dennoch war er als Künstler in der DDR sehr angesehen, bereiste mehrmals Italien und wurde auch international außerhalb des Eisernen Vorhanges anerkannt. Unter anderem nahm er 1977 an der Documenta teil und begegnete unter anderem Ernst Fuchs, Giorgio de Chirico, Rudolf Hausner und Martin Walser.
The Great Circle beschäftigt sich mit seinem Hauptwerk, dem Frankenhausener Bauernkriegspanorama. Es ist ein gigantisches Rundgemälde – 14 Meter hoch und 120 Meter im Umfang, das das DDR-Kulturministerium in Auftrag gegeben hatte und für das extra ein Museum gebaut wurde.
Der offizielle Titel Frühbürgerliche Revolution in Deutschland sollte auf den Deutschen Bauernkrieg mit der Schlacht um Frankenhausen und dessen Führer Thomas Müntzer hinweisen, in dessen revolutionärer Tradition sich die damalige Führung des Staates sah.
Werner Tübke überlegte, ob er diesen Auftrag überhaupt annehmen sollte – sagte aber schließlich zu, als ihm völlige künstlerische Freiheit zugebilligt wurde. 1976 nahm er die Arbeit an seinem Opus magnum auf, die elf Jahre (mit Unterbrechungen) dauerte und die er nur mit Hilfe von Assistenten bewältigen konnte. Mit diesem Werk schuf er kein „normales“ Schlachtengemälde, sondern einen historisch-philosophischen Bilderreigen einer ganzen Epoche.
Während seiner Arbeit am Rundgemälde ließ er sich von seiner Hochschultätigkeit beurlauben, machte Skizzen sowie kleinere Bilder und fertigte eine 1:10 Modellfassung an, die später als Projektion für das Rundbild diente. Teilweise arbeiteten er und seine Helfer bis zu 10 Stunden täglich, mehr als 3.000 Figuren sind am Bild zu sehen, darunter auch gut erkennbar Albrecht Dürer und Martin Luther und auch Tübke selbst hat sich in seinem Werk verewigt.
Entstanden ist kein übliches Schlachtbild, sondern eine historische Parabel menschlicher Irrungen und Wirrungen, eine Erzählung über die Entstehung der Welt und ihren Untergang, über das geboren werden und vergehen. Manche sehen darin auch die verlorene Utopie der DDR als besseren Staat für den Menschen oder einen Spiegel für eine von Utopien enttäuschte Übergangszeit.
Egal wie man es interpretieren möchte, das Werk ist gewaltig.
The Great Circle
Ebenso kann man die immersive Umsetzung als gigantisch bezeichnen. The Great Circle, für den zwölf einzelne Szenen aus dem Tübke-Panorama entnommen wurden, erzählt den Kreislauf der immer wieder scheiternden Utopien.
Die Bilder erzählen von Leben und Tod, Hoffnung und Untergang, Rebellion und Unterwerfung, tauchen uns in die ewigen Themen der Menschheitsgeschichte und berühren uns emotional. Bekannte Bilder, wie z.B. jenes Selbstbildnis von Albrecht Dürer am Brunnen begeistern, manchmal verschwinden die dargestellten Szenen fast zu schnell um über ihre Interpretation nachdenken zu können.
25 Projektoren in einer brillanten Auflösung auf die 1.200 Quadratmeter große Fläche der Maschinenhalle des Kunstkraftwerkes übertragen. Kreative Köpfe aus vier Ländern – Deutschland, Frankreich, Italien und den Vereinigten Staaten von Amerika - waren an diesem Projekt beteiligt.
Aus den hochaufgelösten digitalen Bildern von Centrica (einem führenden internationalen Florentiner Spezialisten im Bereich der Digitalisierung von Gemälden) wurde für die Räume des Kunstkraftwerks eine multimediale und immersive Licht- und Klanginstallation in Form einer 27-minütigen Präsentation entwickelt.
Es ist – wie gesagt – gigantisch. Noch nie hat mich eine immersive Darstellung derart fasziniert. Die Figuren des Werkes werden lebendig und als Besucher ist man mitten im Gewühl. Dazu kommt noch die wirklich passende Musik von Steve Bryson.
Ich hätte mir diese Vorführung wirklich gerne noch ein paar Mal angesehen, so faszinierend, so monumental, so vielschichtig ist sie. Bei einem Durchgang kann man gar nicht allen Details folgen. Wahrscheinlich aber auch nicht bei einem Zweiten.
Tübke Touch
Gekoppelt wurde die immersive Vorführung auch noch durch eine Cloud Applikation bei der man nach der Vorstellung auf einem Touchscreen Tübkes Panoramagemälde im Ganzen betrachten und gezielt und detailgenau in das Werk hineinzoomen kann. Dazu gibt es auch noch Erklärungen für einzelne Symbolbilder.
Zeitzeugen
Wer noch mehr über die Herstellung des Gemäldes und über Werner Tübke wissen möchte, konnte sich noch fünf Kurzfilme mit Zeitzeugen ansehen, die Einblick in ihre persönlichen Erlebnisse mit dem Künstler gaben und eine Schau in das künstlerische Umfeld und in die Entstehung des Panoramabildes erlauben.
Das Original
Das Original ist heute noch im Panorama Museum zu sehen und wer sich einen ersten Eindruck verschaffen möchte kann dies hier tun: https://www.panorama-museum.de/de/bildsaaltour.html
Die Leinwand des Originals wog unbemalt ungefähr 1,1 Tonnen und wurde im Textilkombinat Sursk in der Sowjetunion gefertigt, nachdem sie der damalige DDR-Kulturminister persönlich in der Sowjetunion bestellt hatte. Auch die Grundierung der Leinwand erledigte ein sowjetisches Spezialistenteam mit einer alten russischen Geheimrezeptur.
Die größten Figuren auf der Leinwand sind über drei Meter groß. Tübke selbst musste die Arbeiten zeitweilig unterbrechen, da die Überanstrengung einen Muskelriss im Daumen hervorgerufen hatte.
Die 1:10-Modellfassung befindet sich auf fünf Holztafeln von je 2,45 Meter Länge und 1,39 Meter Höhe und wurde 1979 fertiggestellt. 1988 wurden diese von der Nationalgalerie der Staatlichen Museum zu Berlin erworben und es befindet sich auch heute noch in Berlin.
1982 spannten und präparierten 54 Arbeiter die Leinwand auf, danach zeichneten 15 Künstler, die trainiert wurden, um Tübkes Stil exakt kopieren zu können, die Konturen aus der Modellfassung auf 900 Quadrate aus Klarsichtfolie, die anschließend fotografiert und dann mit beweglichen Tageslichtprojektoren auf die Leinwand projiziert wurden. Danach wurden die vergrößerten Konturenzeichnungen mit einer blassen Temperafarbe festgehalten.
Die eigentlich Ausführung nach noch vier Jahre in Anspruch. Dabei wurde Tübke von Absolventen der Kunsthochschule (Helmut Felix Heinrichs, Eberhard Lenk, Volker Pohlenz, Matthias Steier, Dietrich Wenzel) unterstützt. Um über die ganze Höhe arbeiten zu können, mussten auf fünf Stockwerke hohe fahrbare Gerüste aufgestellt werden. Am 7. August 1987 vollendete Werner Tübke seinen Teil des Gemäldes, am 11. September beendete Lenk als letzter Mitarbeiter seine Arbeit, am 16. Oktober signierte Werner Tübke das Werk. 1989 wurde es eingeweiht.
Weitere Info darüber findet ihr auf der Website des Panorama Museums: https://www.panorama-museum.de/de/
Mehr über The Great Circle, dessen Entstehung und der Künstler dahinter findet ihr hier: https://www.kunstkraftwerk-leipzig.com/de/ausstellungen/the-great-circle
Dem Kunstkraftwerk Leipzig solltet ihr aber auf jeden Fall einen Besuch abstatten, egal wie die aktuelle Ausstellung/Vorführung heißt.
Am besten ist es die Tickets vorab Online zu erstehen und ein Zeitfenster zu buchen. Damit hat man seinen Platz auch bei großem Besucherandrang gesichert.
Obwohl es Parkplätze am Gelände gibt, empfehle ich euch die öffentliche Anreise:
S-Bahn: S1 S-Bahnhof Plagwitz, S1 Lindenau
Straßenbahn: Linie 14 S-Bahnhof Plagwitz, Linie 8 Lindenau
Bus: Linie 60 oder 80 Lindenau Bushof
Kunstkraftwerk Leipzig
04179 Leipzig, Saalfelder Straße 8b
Tel: +49 341 5295 0895
Email:
https://kunstkraftwerk-leipzig.com
Der Besuch erfolgte im Rahmen einer Pressereise auf Einladung der Leipzig Tourismus und Marketing GmbH
Weitere Infos über Leipzig:
Sehenswürdigkeiten und Erlebnisse:
Zur Vorweihnachtszeit nach Leipzig
Felix Mendelssohn-Haus in Leipzig
Zu Besuch bei Johann Sebastian Bach in Leipzig
Essen, Trinken, Übernachten:
Leipzig - Restaurant Auerbachs Keller
Leipzig – Restaurant Panorama Tower „Plate of Art”
Leipzig - Gasthaus Barthels Hof
Spezialitäten: