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Proteste und Demos stehen seit Corona und Klimakrise wieder an der Tagesordnung. Aber ist das ein städtisches Phänomen? Wie sieht und sah es am Land aus? Im Museum Niederösterreich gibt es zu diesem Thema eine neue Sonderausstellung …

Eigentlich könnte man meinen, dass Streik, Demos und Protestmärsche ein neuzeitliches "Problem" der Städte sind. In diesen finden schließlich – um gegenwärtige Proteste aufzugreifen – Klimaschützer und Coronagegner ein großes Publikum. Aber was ist mit der Landbevölkerung? Ist das Leben am Land beschaulich genug und man will sich nicht einmischen? War das schon immer so? 

Hans Kudlich und die Bauernaufstände
Hans Kudlich und die Bauernaufstände

Die neue Sonderausstellung des Hauses der Geschichte im Museum Niederösterreich versucht vom 18.2.2023 – 21.1.2024 an Hand von verschiedenen Beispielen die unterschiedlichsten Protestvarianten am Land in Vergangenheit und Gegenwart aufzuzeigen.

Viele Hintergründe der Streikbewegung können nachgelesen werden
Viele Hintergründe der Streikbewegung können nachgelesen werden

Es ist keine chronologische Sicht von Streiks und Protesten. Das Ausstellungsteam versucht mit Einzelereignissen die ganze Bandbreite der Proteste aufzuzeigen, die Hintergründe begreiflich zu machen und auch zu erkunden warum mancher Streik dann plötzlich „im Sande verlief“.

Eine Wilderer-Maske
Eine Wilderer-Maske

Um es gleich vorwegzunehmen: Man sollte sich für die Ausstellung Zeit nehmen. Wer sich wirklich mit den einzelnen Stationen beschäftigen möchte, wird viel zu lesen bekommen.

Eine Originalzeichnung über den Protest in der Tabakfabrik
Eine Originalzeichnung über den Protest in der Tabakfabrik

Da es kaum Objekte und auch nur wenige Original-Fotos (bzw. Zeichnungen) über die einzelnen vergangenen Proteste gibt, wurden die Ereignisse von Lenz Moosbacher in genialer Weise zeichnerisch umgesetzt.

Die tollen Zeichnungen von Lenz Moosbacher veranschaulichen das Geschehen
Die tollen Zeichnungen von Lenz Moosbacher veranschaulichen das Geschehen

Dadurch entsteht zu jeder einzelnen Station eine Art kleine Grafiknovelle, die das Geschehen in Wort und Bild dem Besucher näherbringt. Zusätzlich gibt es aber auch jede Menge Hintergrundinfo zu lesen – und das lohnt sich wirklich.

Start in die Ausstellung
Start in die Ausstellung

Die Ausstellung beginnt mit den „Bauernaufständen“ 1848 und Hans Kudlich und endet mit der Protesten zur Erhaltung der Hainburger Au. Insgesamt gibt es 16 Stationen, die sich mit Streik, Protest und dem Eigensinn der ländlichen Bevölkerung befassen. 

Arbeitshilfen und Streikmaterialien
Arbeitshilfen und Streikmaterialien

Dabei ist der Protest der Tabakarbeiterinnen in Stein gegen die Entlassung einer Kollegin ebenso dabei wie Streiks in Rüstungsbetrieben der „neutralen“ Österreich-Ungarischen Monarchie, die Apathie der Arbeitslosen aus dem Mariental oder das Widerstandnetzwerk in der IG-Farben Fabrik in der NS-Zeit. 

Österreichs größte Chemiefabrik wurde von der IG-Farben übernommen
Österreichs größte Chemiefabrik wurde von der IG-Farben übernommen

Eingegangen wird auch auf die großen Traktordemonstrationen unter der Regierung Kreisky und das Verlangen nach Mutterschutzurlaub für Bäuerinnen. Überhaupt hat mich erstaunt, dass die Proteste sehr oft von der weiblichen Bevölkerung ausgegangen sind. Doch deren Beginn oder Mitwirkung wurde (und wird?) oftmals „dezent“ in Berichten verschwiegen. 

Blick in die Ausstellung
Blick in die Ausstellung

Ähnlich ging es anscheinend auch der lokalen, bäuerlichen Bevölkerung beim Kampf gegen das Kraftwerk Hainburg. Kaum öffentlich erwähnt wurde die Mithilfe der lokalen Bevölkerung, die nicht nur eine gewisse Infrastruktur (z.B. Festnetztelefon – damals gab es noch keine Handys) zur Verfügung stellte, sondern die auch über lokale Expertisen verfügten und schon vor WWF, Kronen Zeitung und Konrad Lorenz Volksbegehren auf die ökologischen Probleme hinwies.

Auchder Streik bei Semperit wird thematisiert
Auch der Streik bei Semperit wird thematisiert

Eine Station beleuchtet auch die Situation der Saisonarbeiter in der Zwischenkriegszeit, die sich zwar nie in großen Protesten niedergeschlagen hat, da keine Lobby diese Menschen vertrat.

Gleiche Rechte für Bäuerinnen
Gleiche Rechte für Bäuerinnen

Dennoch entwickelten die Menschen, die vorwiegend aus der damaligen Tschechoslowakei nach Österreich kamen, kleine und größere "Proteststiche" gegen ihre Dienstherren, um ihre Stellung zu verbessern. Meistens jedoch saßen die Arbeitgeber am längeren Arm und hielten sich auch nicht immer an die vereinbarten Regeln. Oft blieb den Dienstnehmern daher nur die "radikale" Lösung. Von einem Tag auf den anderen seinen "Binkel" zu packen und wegzugehen.

Wann und warum wird ein Streik beendet?
Wann und warum wird ein Streik beendet?

Damit ihr euch ein besseres Bild von der Ausstellung machen könnt, möchte ich hier noch die „Ausstellungsmacher“ zu einigen Stationen erzählen lassen.

Mag. Dr. Christian Rapp erzählt
Mag. Dr. Christian Rapp erzählt

Wir beginnen mit Mag. Dr. Christian Rapp, dem wissenschaftlichen Leiter des Hauses der Geschichte im Museum Niederösterreich, der uns hier die Person Hans Kudlichs näherbringt:

Bauern im Zugriff des Grundherren
Bauern im Zugriff des Grundherren

In der heutigen Kunsthalle Krems wurden früher Zigarren erzeugt. Eine schlecht bezahlte Arbeit, die überwiegend von Frauen ausgeführt wurde und manchmal gab es auch Streitigkeiten über die Qualität dieser Arbeit, die sogar zur Kündigung führen konnte:

Der Schriftsteller Martin Prinz beschäftigte sich in den Recherchen zu einem neuen Buch mit einem Streik in einer Waffenfabrik in Traisen und dem „neutralen“ Österreich-Ungarn zur Zeit des Russisch-Japanischen Krieges:

War der Streik erfolgreich?
War der Streik erfolgreich?

Und last but not least erzählt uns Mag. Benedikt Vogl über das Widerstandsnetzwerk in der größten Chemiefabrik Österreichs, die von der IG-Farben übernommen wurde:

Passiver Widerstand und ein Widerstandsnetzwerk
Passiver Widerstand und ein Widerstandsnetzwerk

Insgesamt berichten 16 Stationen über die unterschiedlichsten Streik- und Protestbewegungen, deren Beginn, deren Hintergründe und deren Ausgang. Immer involviert: die Landbevölkerung, die also gar nicht sooo „schläfrig“ ist, wie ein Zeitungsartikel über die Landbevölkerung zur Zeit Hans Kudlichs meinte.

Blick in die Ausstellung
Blick in die Ausstellung

Das Museum Niederösterreich ist Dienstag bis Sonntag und feiertags von 9:00 bis 17:00 Uhr geöffnet. Montag ist das Museum geschlossen.


Aufsässiges Land. Streik, Protest und Eigensinn
18.2.2023-2 1.1.2024
Museum Niederösterreich
Kulturbezirk 5
3100 St. Pölten
+43 2742 90 80 90-0
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https://www.museumnoe.at

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