Lange Zeit hatte man den Eindruck, dass es in der Vergangenheit keine nennenswerten Künstlerinnen gegeben hätte. Doch es gab sie – sie waren nur zu oft in Vergessenheit geraten …
Ob absichtlich oder nicht, Frauen als Malerinnen? Gleichbedeutend mit einem Rubens, einem Van Dyck? Das konnte oder durfte nicht sein. Doch die neue Ausstellung im KHM zeigt, dass es sie doch gab: Malerinnen, die es mit ihrem Talent auch mit den ganz großen Künstlern aufnehmen konnten. Michaelina Wautier ist eine dieser Frauen.

Manche ihrer Gemälde zeigen auch ihr Selbstbewußtsein und doch: im Unterschied zu Rubens Selbstbildnis, das nun neben ihrem im KHM hängt, musste sie sich mit ihren Malerutensilien verewigen, damit man ihre Profession erkannte. Rubens hatte dies nicht nötig.

So war es manchmal auch notwendig, klarzumachen wer der Urheber der Bilder ist: Daher zeichnete sie ihre Werke manchmal mit der Signatur „invenit et fecit“- „erdacht und ausgeführt“. Zwei Bilder mit dieser seltenen Signatur sind ebenfalls in der Ausstellung zu sehen.
Doch wer war diese Michaelina Wautier und wann lebte und wirkte sie?
Ihr Leben bleibt größtenteils im Verborgenen. Sie gilt heute als eine der wichtigsten Wiederentdeckungen der jüngeren Kunstgeschichte. Wautier wurde in Mons um 1614 geboren und lebte bis 1689.

Sie zeichnet sich nicht nur durch ihre brillante Pinselführung und ihre Vielseitigkeit und Breite an Themen aus, die für eine Malerin in ihrer Zeit ungewöhnlich sind, sondern für mich vor allem durch den Ausdruck, den sie ihren Gesichtern verleihen kann. Es ist manchmal so, als ob man ins Innerste des Menschen blicken könnte und genau sehen kann, was er gerade fühlt.

Michaelina Waultier muss eine Ausnahmekünstlerin ihrer Zeit gewesen sein und doch wurde ihr Werk jahrhundertelang vergessen, verkannt oder einfach männlichen Kollegen zugeschrieben. Es galt als eine Unmöglichkeit für eine Frau der damaligen Zeit, (fast) nackte Männer zu malen wie sie es in ihrem Bild „der Triumph des Bacchus“ zeigt, das ebenfalls in der Schau zu sehen ist. War es doch in ihrer Zeit Frauen vorbehalten, sich mit Stillleben- oder Genremalerei zu beschäftigen. So wurde oben genanntes Bild auch bis in die 1960er Jahre Rubens-Schülern oder gar Luca Giordano zugeschrieben.

Dennoch bleibt ihr Leben im Moment in weiten Teilen ein Rätsel. Wahrscheinlich stammte sie aus einer gebildeten und finanziell unabhängigen Familie aus Mons. Doch auch mit diesem Background waren damals einer Frau Grenzen in der künstlerischen Ausübung gesetzt. Dennoch gelang ihr ohne formelle Ausbildung und ohne den Rückhalt einer bekannten Künstlerfamilie der Zugang zu den intellektuellen und künstlerischen Kreisen am habsburgischen Hof in Brüssel.

Mit ihrem Bruder Charles Wautier, der ebenfalls Maler war, lebte sie dort und teilte sich wahrscheinlich eine Werkstatt mit ihm. Es ist anzunehmen, dass sie dadurch die Möglichkeit hatte mit männlichen Aktmodellen zu arbeiten, was ansonsten ein Ding der Unmöglichkeit gewesen wäre.

Zur damaligen Zeit herrschte in Brüssel Erzherzog Leopold Wilhelm als Statthalter der spanischen Niederlande, der als großer Kunstsammler bekannt war und der anscheinend auch die Werke von Michaelina Wautier schätzte und sammelte. Leider gibt es keinerlei zeitgenössische Kommentare über ihre Kunst. Weder Briefe noch andere eigenhändig verfassten Dokumente sind bekannt.

Nur ihre Gemälde und Signaturen sprechen für die Künstlerin, die mit ihrem vollen Namen signiert: Michaelina Wautier, nicht Michelle, sondern mit der lateinischen Form, womit sie nicht nur ihre Bildung, sondern auch ihre Eigenständigkeit betont haben könnte.

Michaelina Wautier: Ausstellungsansicht (In der Mitte das Bild "Die Erziehung Mariens")
Foto © KHM-Museumsverband
Die Ausstellung entstand in Kooperation mit der Royal Academy of Arts in London und zeigt 29 Gemälde, eine signierte Zeichnung und eine Druckgrafik nach einem verlorenen Werk der Künstlerin. Es ist dies die bislang umfassendste Präsentation ihrer Werke, die in einem Dialog mit der Antike, Rubens, Van Dyck und anderen Meistern ihrer Zeit ausgestellt sind, insgesamt sind rund 80 hochkarätige Werke und Realia zu sehen.

Dank der Sammeltätigkeit von Erzherzog Leopold Wilhelm besitzt das Kunsthistorische Museum den weltweit größten musealen Bestand an Wautiers Werken. Sie werden von Leihgaben bedeutender österreichischer und internationaler Institutionen sowie Privatsammlungen begleitet.

Für mich ist das größte Highlight der Ausstellung jedoch nicht das „Bacchus-Gemälde“ sondern die Serie „Die fünf Sinne“, die in Europa erstmals in vollständiger Form zu sehen ist (Rose-Marie und Eijk Van OtterlooCollection), aber auch ihr Selbstporträt oder die zwei Mädchen als Heilige Agnes und Heilige Dorothea zeigen jeweils einen ganz eigenen Gesichtsausdruck, der den Betrachter sofort berührt. Auch wenn es vielleicht komisch klingt, aber in ihren Bildern kommt das Menschliche der Figuren viel stärker zum Ausdruck als bei oft höher eingeschätzten Kollegen.

Zur Ausstellung ist ein reich bebildeter Katalog in Deutsch und Englisch erhältlich und es gibt ein umfangreiches Rahmenprogramm, über das ihr euch hier informieren könnt: https://www.khm.at/ausstellungen/michaelina-wautier

Das Kunsthistorische Museum in Wien ist täglich von 10:00 bis 18:00 Uhr geöffnet, am Donnerstag bis 20:00 Uhr. Für den Besuch der Ausstellung ist ein Ticket mit Timeslot (Zeitfenster) zu buchen. Der Timeslot regelt den Zeitpunkt des Zutritts zur Sonderausstellung, in der Ausstellung selbst können die Besucher*innen unbegrenzt verweilen.

Alle Tickets können über den Online-Shop des KHM gebucht werden: Zum Online-Shop
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